Am heutigen Tag, genau vor 60 Jahren, dem 21. November 1954 wurde der Sportclub Einheit Dresden aus der Taufe gehoben. Wir wollen diesen feierlichen Anlaß nutzen, um einen kleinen Einblick in die Geschichte des FDGB-Pokalsiegers von 1958 zu geben. Für die meisten DSCer sind die folgenden Ausführungen höchstwahrscheinlich nicht mehr als olle Kamellen. Aber die Jüngeren der Leserschaft oder Außenstehende hören von manchen Geschehnissen vielleicht zum ersten Mal.
Am 21. November 1954 fand also auf Geheiß der DDR-Sportführung in Adams Gasthof zu Moritzburg die Gründungsveranstaltung des SC Einheit Dresden statt. Währenddessen spielten die Fußballer der BSG Rotation bereits im Trikot, noch mit dem Standart-Logo der Sportvereinigung Einheit auf der Brust, auf dem Sportplatz an der Cantianstraße in Berlin. An der selben Stelle, an der der BFC Dynamo heute wieder seine Heimspiele in der Regionalliga austrägt und der Friedrich-Ludwig-Jahnsportpark steht.
Das Spiel gegen den Armeeklub Vorwärts Berlin ging mit 1:3 verloren und stellte den Auftakt einer Doppelveranstaltung dar. Im Anschluß verlor der SC Dynamo Berlin sein "Heimspiel" gegen die BSG Rotation Babelsberg mit 0:3. Der SC Einheit und der SC Dynamo waren beide Produkte der gleichen Umstruktierungsmaßnahme des DDR-Fußballs. Die Geschichte beider Mannschaften ist eng verwoben mit der Dresdner Fußballgeschichte und im besonderen mit der Geschichte des Friedrichstädter Fußballs.
Klaus Querengässer überschreibt in seinem Standartwerk zur Fußballgeschichte Dresdens ("100 Jahre Fußball in Dresden") das Kapitel zum SC Einheit mit "Oberligist im Schatten der Dynamomannschaft". Wenn damit die Erinnerungskultur gemeint ist, hat Querengässer durchaus recht. 40 Jahre DDR-Fußball bestehen im kollektiven Gedächtnis der Dresdner Fußballfans meist nur aus Dynamo Dresden. Dass Querengässer jedoch auf etwas anderes abzielt, wird weniger Zeilen tiefer deutlich: von "1950 bis 1962 spielt Einheit gemeinsam mit Dynamo Dresden in der Oberliga." Da ist so nicht ganz richtig. Die SG Dynamo, die 1950 nach der Auflösung der SG Friedrichstadt den Startplatz des DSC-Nachfolgers übernimmt, legt zwar mit einer aus den verschiedenen Mannschaften der Sicherheitsorgane der DDR (SV Dynamo) in Forst zusammen gecasteten Truppe einen furiosen Start hin, wird Pokalsieger und Meister, verschwindet 1954 aber von der Bildfläche.
Grund dafür ist ein weiterer sportpolitischer Eingriff der DDR-Führung in die Struktur des Leistungssports. Durch die Gründung von Leistungszentren wird das Ziel verfolgt, die DDR international konkurrenzfähig zu machen, um so Meriten und Prestige für den Sozialismus im internationalen Vergleich zu generieren. In der DDR gibt es insgesamt 18 republikweite Sportvereinigungen (SV). Zum Beispiel Rotation, Chemie, Aufbau, Aktivist, Empor, Post, Stahl, Turbine oder Wissenschaft. Jeder dieser SVs sollte nun sein Leistungszentrum in Form eines Schwerpunktclubs erhalten, zu dem künftig die besten Spieler delegiert werden sollten.
Für die SV Dynamo wurde der Berliner Drittligist auserkoren, der fortan unter dem Namen SC Dynamo Berlin in der Oberliga kickt. Mitten in der Saison. hatte die Dresdner SG Dynamo Mannschaft und Startplatz nach Berlin abzugeben. Im Gegenzug erhielten die Dresdner Startplatz und Teile der Mannschaft der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Man spielte die Saison in der DDR-Liga mit einer nicht konkurrenzfähigen Mannschaft zu Ende. Die Folge: Abstieg aus der zweiten Liga und im folgenden sogar der Sturz bis in die viertklassige Bezirksliga. Erst in den 60er Jahren gelang der SGD die Rückkehr ins Oberhaus.
Die SV Einheit hingegen erhielt ihren Schwerpunktclub in Dresden. Als Fußballabteilung wurde die Mannschaft der BSG Rotation Dresden zum SC Einheit delegiert. Bis zu diesem Zeitpunkt sorgte die BSG Rotation, die Mannen aus dem Paul-Gruner-Stadion (Stadion an der Eisenberger Straße), ebenfalls in der höchsten Spielklasse der Republik für Furore. Sie lieferten sich in den Derbys mit der SG Deutsche Volkspolizei bzw. ab 1953 SG Dynamo Dresden zuschauerträchtige Derbys und stellten mit Harry Arlt sogar den Torschützenkönig der Saison 1953. Man sprach von der Angriffsreihe der Rotationer ganz allgemein vom „Wundersturm“.
Und wie ging es weiter "im Schatten der Dynamomannschaft?" Die Fußballer des SC Einheit bezogen interessanterweise zunächst Quartier im Rudolf-Harbig-Stadion. Dort standen ein Vereinsheim und Trainingsplätze zur Verfügung, über deren Zustand sich der ehemalige DDR-Nationaltrainer Hans Siegert regelmäßig ereiferte. Ständig müsse man Glasscherben von Bierflaschen vom grünen Geläuf sammeln, äußerte der Trainer eine Beschwerde in der FUWO. Das Heinz-Steyer-Stadion kam als echte Heimstätte zunächst nicht in Frage, da es sich noch im Besitz des SV Dynamo befand. Ihre Heimspiele trugen die Mannen von Siegert dennoch in dort aus.
Doch der SC Einheit war wie der DSC nicht nur ein Fußballclub. Sein Ziel war die ganz allgemeine Förderungen des Spitzensports der DDR. Weitere Mannschaften aus anderen Betriebssport-gemeinschaften wurden zum SC Einheit delegiert. Insgesamt etablierte sich ein breites Spektrum an Sportarten. Ob Faustball, Tischtennis, Kajak, Rudern, Schach oder Handball. 44 Goldmedaillen konnten die Olympioniken bis zum Ende der Republik bei Olympischen Spielen in den Sportarten Wasserspringen, Rudern, Schwimmen, Eisschnelllauf, Kanu gewinnen. Hinzukommen silberne und bronzene Auszeichnungen in der Leichtathletik, im Radsport, Fechten und Gewichtheben. Ergänzt werden könnte die Liste noch um unzählige nationale Titel.
Der größte Erfolg der Fußballer war ebenfalls ein nationaler Titel. 1958 gelang der Triumph im FDBG-Pokalfinale gegen den SC Lokomotive Leipzig. Auf dem Weg ins Finale schalteten die Mannen von Hans Siegert in der Ersten Runde Aufbau Aue-Bernsbach (heute Saxonia Bernsbach, Kreisliga) mit einem 3:1-Sieg aus. Es folgte ein 3:0 bei Motor Altenburg (Thüringenliga) ehe im Achtelfinale Fortschritt Meerane (Meeraner SV, Kreisoberliga) mit einem 2:1 aus dem Bewerb gekegelt wurde. Im Viertelfinale gastierte Empor Wurzen West (ATSV "Frisch Auf" Wurzen, Kreisoberliga), die mit einem 5:0 im Gepäck die Heimreise antreten durften. Erst im Halbfinale traf man auf den ersten richtigen Brocken, den ASK Vorwärts Berlin. Der 6-fache DDR-Meister heißt heute übrigens 1.FC Frankfurt und spielt in der Brandenburgliga. Beim schweren Auswärtsspiel Berlin konnte sich der SC Einheit jedenfalls mit 3:1 durchsetzen und zog ins Finale ein.
15.000 ZuschauerInnen fieberten im ausverkauften Max-Reimann-Stadion zu Cottbus dem Finale entgegen. Auf der einen Seite die Underdogs des SC Einheit, auf der anderen die Titelverteidiger des SC
Lokomotive Leipzig, trainiert vom späteren Meistertrainer des "Rests von Leipzig", Alfred Kunze. Der SC Lok hat übrigens nichts mit dem 1.FC Lok gemein, sondern steht, wenn überhaupt, in der
Tradition der BSG Chemie. Zwei Taktikfüchse standen sich also an diesem 14. Dezember 1958 mit ihren Mannschaften gegenüber. Der SC Einheit spielte mit: Großstück - Albig, Losert - Jochmann,
Pfeifer, Hansen - Müller, Walter, Vogel, Matthes, Petersohn (108. Knappe). Relativ spät ging der Favorit aus Leipzig mit 1:0 in Führung (60.), doch nur acht Minuten später konnte Pfeifer
ausgleichen. Die Partie musste in der Verlängerung entschieden werden. Dafür sorgte schließlich der Leipziger Söllner mit einem Eigentor in der 113. Minute. Ein dramtischer
Schlußpunkt in einer umkämpften Partie. Der Pott kam zum zweiten Mal nach Dresden, zum ersten und letzten mal in den Händen der Spieler des SC Einheit.
Spieljahr | Ligazugehörigkeit | Platz | Tore | Punkte | FDGB-Pokal |
---|---|---|---|---|---|
1954/55 | DDR-Oberliga | 4. | 64:55 | 29:23 | 1. Runde |
1955 | DDR-Oberliga | 12. | 21:24 | 8:18 | x* |
1956 | DDR-Oberliga | 5. | 50:46 | 26:26 | Viertelfinale |
1957 | DDR-Oberliga | 8. | 40:44 | 25:27 | 1. Runde |
1958 | DDR-Oberliga | 5. | 38:39 | 28:24 | Pokalsieg |
1959 | DDR-Oberliga | 11. | 23:42 | 19:33 | 1. Runde |
1960 | DDR-Oberliga | 12. | 30:51 | 21:31 | 1. Runde |
1961/62 | DDR-Oberliga | 13. | 48:73 | 32:46 | Achtelfinale |
1962/63 | DDR-Fußballliga | 3. | 47:28 | 34:18 | Achtelfinale |
1963/64 | DDR-Fußballliga | 2. | 49:35 | 36:24 | 1. Runde |
1964/65 | DDR-Fußballliga | 7. | 42:38 | 32:28 | 1. Runde |
1965/66 | DDR-Fußballliga** | 5. | 35:37 | 26:34 | 1. Runde |
* Kein FDGB-Pokal während der Übergangsrunde zum sowjetischen Saisonrythmus
** Ausgliederung der Fußballer während der Saison (12. Januar 1966)
Wenn am morgigen Sonntag der Radebeuler BC zum Heimspiel des Dresdner SC 1898 im Heinz-Steyer-Stadion gastieren wird, werden die Spieler des DSC in vom Sportmuseum angefertigen Sondertrikots auflaufen. Diese Trikots orientieren sich an den Leibchen der Pokalsiegersaison. Der unkomplizierten Zusammenarbeit mit dem Sporthaus Haubold und dem Sportdirektor Stefan Steglich ist es zu verdanken, dass dieses Vorhaben in letzter Sekunde realisiert werden konnte. Besonderer Dank gilt dem DSC-Sponsor Maik Juppe und HID, die für dieses Spiel auf Trikotwerbung verzichten! Außerdem den treuen Fans des DSC, die den Trikotsatz finanzieren!
Das Fußballkapitel SC Einheit fand sein Ende in der Saison 1965/66. Dieses mal fiel der Club selbst einer Umstrukturierung zum Opfer. Diese sollte einmal mehr die Steigerung des Leistungsvermögens bezwecken, allerdings speziell die der DDR-Fußballer. Die Mehrspartenvereine schienen dafür nicht mehr das geeignete Mittel. Fußballclubs als Allheilmittel wurden nun allerorts aus dem Boden gestampft. In und für Dresden wurden Pläne für die Fusion der Fußballabteilung des SC Einheit mit der SG Dynamo Dresden zum 1.FC Dresden ersponnen, aber schnell ad acta gelegt. Für den SC Einheit bedeutete das die Ausgliederung der Fußballabteilung. Diese spielte fortan unter dem Namen FSV Lokomotive Dresden. Da es bereits bereits eine BSG Lok mit dem Trägerbetrieb der Reichsbahn in Dresden gab, erhielt die FSV die Verkehrswissenschaftler der TU Dresden als "Trägerbetrieb", der den Bezirksrat der Stadt Dresden ablöste.
Die neu geschaffene FSV Lok hielt sich bis Mitte der 80er Jahre in der Zweitklassigkeit, vor allem dank einer außerordentlichen Nachwuchsarbeit, die sowohl Einheit als auch die FSV auszeichneten und sich in mehreren DDR-Meisterschaften in verschiedenen Altersklassen niederschlug. Zum neuen Schwer-punktclub des Bezirks Dresden wurde die SG Dynamo Dresden bestimmt, was zur Folge hatte, dass die besonders guten Kicker der FSV zur SGD delegiert wurden. Bestes Beispiel ist der vor nur wenigen Tagen zum Ehrenspielführer der SG Dynamo ernannte Eduard Geyer, der für Lok und Einheit insgesamt auf 128 Einsätze kommt, im schwarz-gelben Trikot hingegen "nur" auf 113. Ein anderes Beispiel unter vielen wäre Klaus Sammer, der Vater des derzeitigen Sportvorstandes des FC Bayern München, der über den SC Einheit den Weg zur SG Dynamo fand.
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