Der Bücher-Markt wird sein einiger Zeit gerade zu überschwemmt mit (Auto-)Biographien bekannter und weniger bekannter Fußballgrößen, dabei sind viele dieser “Größen” gerade einmal Ende 20 und stehen längst nicht am Ende ihrer Karriere. Hinsichtlich des Fußballidols Helmut Schön hingegen klaffte bisher eine gewaltige Lücke in diesem Metier. Dabei kann kaum eine der porträtierten Persönlichkeiten auf eine derart wechselvolle und an Episoden reiche Vergangenheit verweisen wie Helmut Schön. Im November dieses Jahres wurde diese Lücke durch Bernd Beyer endlich geschlossen. Die von Beyer vorgelegte Biographie des erfolgreichsten Deutschen Nationaltrainers aller Zeiten stellt die erste Abhandlung, abgesehen von den autobiographischen Selbstzeugnissen des Bundestrainers, dieser Art dar. Die wechselvolle Lebensgeschichte des Dresdners wird von Beyer auf über 500 Seiten kurzweilig und informativ zugleich erzählt.
Das im Die Werkstatt Verlag erschienene Buch ist in insgesamt 13 Kapitel unterteilt. Davon widmen sich die ersten vier Kapitel seiner Zeit in der sächsischen Landeshauptstadt. Als der kleine Schön heimlich, weil gegen den Willen seines Vaters, auf der Struvestraße in der Südvorstadt das Fußballspielen erlernte und über Dresdensia den Weg zum Dresdner Sport-Club und seinem englischen Star-Trainer Jimmy Hogan fand. Das heißt aber auch, dass seine Zeit als Trainer der Fußballnationalmannschaft der Bundesrepublik Deutschland besonders im Fokus der Darstellung steht. Das ist zum einem dem Umstand geschuldet, dass Schön vor allem als Bundestrainer im medialen Fokus stand und der Öffentlichkeit bis heute im Gedächtnis blieb. Während Schöns Spielerkarriere vom Zeitgeschehen überschattet wird. Als Schön für den Dresdner Sportclub debütiert, haben die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übertragen bekommen. Als er seine größten Erfolge feiert, tobt der Krieg und der industrielle Massenmord läuft auf Hochtouren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollte der Dresdner Sport-Club und damit die Spielerzeit Schöns aus der öffentlichen Wahrnehmung getilgt werden. Mit dem “Skandalspiel” um die erste Ostdeutsche Meisterschaft zwischen Friedrichstadt und Zwickau endet Schöns Dresdner Zeit mit einem Knall.
Unter erschwerten Bedingungen, denn Zeitzeugnisse für die Spielerzeit Schöns und der Geschichte des Dresdner Sportclubs sind äußerst rar gesät, gelingt es Bernd Beyer dennoch ein konzises Bild von der Person Schöns und seinen Herausforderungen mit den Systemen zu zeichnen. Die Erzählstruktur wird durch kleine Exkurse über einflußreiche Personen und Ereignisse aufgelockert und illustrieren die wechselvolle erste Lebenshälfte Schöns, die immer unter dem Stern seines Charakters als späterem Weltmeistertrainer betrachtet werden. Dazu gehören seine Intermezzos bei der Berliner Hertha, beim FC St. Pauli sowie in Wiesbaden, sowie seine Zeit als Trainer der DDR-Auswahl und des Saarlands. Als Abschluß dieses Präludiums gilt die Zeit an der Seitenlinie der Deutschen Nationalmannschaft als Assistent Sepp Herbergers, ehe die erfolgreichste Zeit seines Lebens als Cheftrainer der BRD anbricht, in denen er es mit so prominenten wie herausfordernden Charakteren zu tun bekommt. Er formt die Netzers und Beckenbauers, Vogts und Müllers zu einer Mannschaft, die zunächst tief fällt und gegen die DDR verliert und am Ende doch den Thron besteigt und Weltmeister wird.
Ergänzt wird die Darstellung durch einen umfangreichen Anhang. Dieser bietet auf drei Seiten die wichtigsten biographischen Höhepunkte Schöns Lebens in Form einer kurzen Chronologie. Es folgt eine Übersicht aller Titel und Ehrungen die dem “Mann mit der Mütze” zu teil wurden. Zudem findet sich eine komplette Auflistung aller Länderspiele sowohl als Spieler als auch als Trainer. Dieses äußerst lesenswerte Stück Dresdner und bundesdeutscher Fußballgeschichte sollte auf keinem Gabentisch fehlen. Umso wertvoller ist Beyers Darstellung, da er nicht daran interessiert ist, lediglich eine seichte Erfolgsgeschichte zu erzählen, sondern immer die gesellschaftlichen Fragen im Blick behält.
Bernd-M. Beyer
ISBN: 978-3-7307-0316-8
1. Auflage, Göttingen 2016
28,00 €
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