Von Arno Neumann*
Zuerst will ich mich einmal vorstellen, mein Name ist Arno Neumann, geboren am 7. Februar 1885 in Dresden. Bin also ein Dresdner Kind und hatte als solches schon mit neun Jahren größtes Interesse für die Fußballspieler, die auf den Lennéwiesen hinter dem Ball herjagten und je zwei Stangen aufgebaut hatten, die sie Goal nannten. Gewöhnlich wurde aber nur vor einem Goal gespielt, da es nur ganz wenig "Verrückte", so wurden die ersten Fußballspieler bezeichnet, gab. Es waren die Mitglieder des Neuen Dresdner Fußballsklubs von 1893. Außerdem bestand noch der Dresdner Football-Club, der von den Mitgliedern der Englischen Kolonie in Dresden gegründet worden war. Als kleiner Knirps holte ich eifrig die hinter dem Goal gelandeten Bälle und war fast jeden Tag vertreten. Natürlich "bäbbelten" wir Kinder auch auf der Straße, das war harmloser als heute, denn da kannte man noch keine Autos und auch keine Elektrische. Dafür fürchteten wir die Polizei, die scharf hinter uns her war und uns manches Spiel vermasselte. Von einer geregelten Spielweise wie heute, von einer Einhaltung der einzelnen Kampfreihen, konnte keine Rede sein. Wir waren zwar über die die Aufgaben der "Backs", der "Halfs" und der "Forwards" leidlich unterrichtet, doch wo der Ball war, da waren auch fast alle Spieler.
Im April 1898 erfuhren wir Jungen von einem "Krach" bei den 93ern und bald hörten wir, daß die besten Spieler ausgetreten wären und einen neuen Verein aufmachen würden. Wir waren auch an dem Lokal, wo die Gründung des neuen Vereins erfolgen sollte, aber wir konnten zunächst nichts Näheres erfahren. Wir hörten nur, daß der neue Verein "Dresdner Sport Club" heißen soll. Uns Jungen gefielen die neuen Spieler, die aber nicht mehr an der Lennéstraße spielten, sondern im Ostragehege. Zunächst spielten die DSCer in schwarzer Hose und weißem Hemd, denn in Dresden gab es damals noch kein Sportgeschäft, wo die erwählten "schwarz-roten Hemden" hätten gekauft werden können. Diese wurden in Berlin bei J. Steidl bestellt.
Nun war unser Weg nur nach dem Ostragehege und ich versuchte mich als Jugendmitglied anzumelden. 1899 wurde eine Jugendmannschaft ins Leben gerufen, doch konnte ich nicht Mitglied werden, da ich noch nicht konfirmiert war. Das war für mich eine Enttäuschung, ich durfte aber mittrainieren. Der Gründungstag der Jugendmannschaft war der 6. April 1899 und als ich kurz vor Ostern 1899 konfirmiert aus der Kirche kam, entschuldigte ich mich bei meiner Mutter für ein paar Minuten, rannte über den Altmarkt nach dem Ostragehege, meldete mich bei unserem Jugendleiter an und trainierte gleich in dem neuen Anzug mit. Sehr spät kam der Junge zu Hause an und der Empfang war nicht gerade erhebend, aber ich ertrug alles, war ich doch jetzt DSCer geworden. Wir trainierten fast jeden Tag, aber wir hatten keine Gegner und wurden mit in der 2. Herrenmannschaft verwendet oder spielten gegen diese. So nahm ich 1900 an einem Trainingsspiel der "Ersten" gegen den NDFC 1893 als Ersatzmann teil. Als Verteidiger war ich viel zu schwach und die 93er führten zur Pause mit 4:1. Dann stürmte ich Rechtsaußen und wir gewannen noch 8:4. Ich war ganz Stolz, denn ich hatte auch zwei Tore geschossen. 1901 zerfiel die Jugendmannschaft und so wurde ich später in den Herrenmannschaften verwendet. 1902 spielte ich denn schon als 17jähriger fast ständig in der "Ersten", so in Berlin gegen FV Brandenburg als Rechtsaußen (2:2), in Breslau usw.
Als rechter Flügelmann war ich schnell und diese Schnelligkeit wurde durch unser eifriges leichtathletisches Training erreicht. So wurde ich schon 1903 Gaumeister vom Gaumeister Ostsachsen und gewann die 4x100m Staffel mit. Als 19-jähriger war ich fünffacher Gaumeister im 100m-, 1500m-Lauf, im Dreisprung und im Dreikampf. Bis 1911 holte ich jedes Jahr mehrere Gaumeistertitel. Dann widmete ich mich nur noch dem Fußballsport und da war ab 1904 allerhand los. Wir gewannen 1904 die Meisterschaft des Dresdner Ballspiel-Verbandes und spielten 1905 erstmalig um die Mitteldeutsche Meisterschaft. In Leipzig-Lindenau trafen wir auf den Hallenser FC 1896 [sic]. Ich spielte Rechtsaußen und durch zwei Flankenbälle von mir fiel der knappe 3:2 Sieg an den DSC, der erstmalig um die Deutsche Meisterschaft mitkämpfte. In der Vorrunde schlugen wir in Berlin Viktoria Hamburg mit 5:2, unterlagen aber im Vorrundenspiel in Leipzig dem späteren Deutschen Meister Union Berlin mit 2:5. Am 30. April 1905 errangen wir zu unserem 7. Stiftungsfest ungeschlagen die Meisterschaft des Dresdner Verbandes gegen Sportlust mit 6:0. Hier schoß ich nach der Halbzeit als Rechtsaußen allein vier Tore. Nun war ich mitten drin in meiner Glanzzeit. Ich schoß Tore am laufenden Band. So stand ich auch in der Dresdner Mannschaft im ersten Städtespiel Dresden gegen Breislau, das wir 7:4 gewannen. Auch im ersten Städtespiel Leipzig gegen Dresden, 1907, das von Dresden 3:1 gewonnen wurde, schoß ich zwei Tore.
Dann hatte der DSC die erste englische Berufsspielermannschaft vom FC Portsmouth als Gegner. Wir verloren mit 1:6, das Ehrentor erzielte ich als Mittelstürmer durch Ueberlaufen der englischen Verteidigung. Nun spielte ich ständig in der Mitte und durch meine Schießkunst hieß ich in der Presse und in den Sportzeitungen die "Dresdner Schießbude", und die "Leipziger Neusten Nachrichten" schreiben von Arno Neumann "aus der Luft". Das war meine Stärke, die Flankenbälle aus der Luft mit Rasanz ins gegnerische Tor zu feuern. 1908 wurde mir die höchste Ehre eines aktiven Fußballspielers zuteil. Ich war in der Deutschen Ländermannschaft aufgestellt worden und zwar als rechter Verbindungerspieler. In Berlin am 2. Osterfeiertag stand ich also in der Deutschen Ländermannschaft der englischen Ländermannschaft gegenüber. Es war der zweite Länderkampf, den Deutschland austrug. Und ausgerechnet gegen "unseren Lehrmeister" England. Wir gaben uns die erdenklichste Mühe, gut abzuschneiden, aber wir wurden mit 5:1 geschlagen und sahen englische Fußballkunst in höchster Vollendung. Natürlich fehlte ich in keiner Dresdner Städte-, Gau- oder Mitteldeutschen Mannschaft, wo ich mich als Verteidiger auszeichnete, denn nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs mußte ich infolge Fehlens von Verteidigern zurück, um aber wieder 1917 unseren Sturm anzuführen. Es würde zu weit führen, meine sportlichen Erfolge weiter herauszustellen. Abschließend kann ich nur sagen, daß ich 25 Jahre in der Ligamannschaft mit bestem Erfolge für meine schwarz-roten Farben gekämpft habe.
Aber ich war nicht nur Fußballspieler, sondern trieb acuh andere Sportarten. Vor allem Leichtathletik, die ja die Grundlage für jeden Fußballspieler sein soll. Ich war vor allen Dingen Läufer und Springer. Als 18-jähriger holte ich den ersten Gaumeistertitel und lief dreimal die 100 Meter in 10,8 Sekunden, damalige deutsche Rekordzeit. Auch als Alter Herr war ich bei den Alten Herren-Kämpfen ständig mit dabei. Ich war auch Gründer der Hockey-Abteilung im DSC, in der ich schöne Erfolge hatte, auch in der Dresdner Hockey-Städtemannschaft gegen Leipzig zweimal aufgestellt war. Außerdem trieb ich noch den Tennissport, Kegeln, Eis- und Skilauf und Turnen.
Ich habe nie aufgehört, Sport zu treiben und habe bis 1944 Fußball gespielt, natürlich bei den Alten Herren und bin dann auch nicht aus der Uebung gekommen, als ich ab 1946 als Fußballtrainer bei den verschiedensten Betriebssportgemeinschaften tätig war. Schon 1920 hatte ich das Diplom als Sportlehrer für Fußball und Leichtathletik erworben und war noch als Trainer tätig und zwar zuletzt (=1953) bei der HSG Wissenschaft Technische Hochschule Dresden.
Im Vorstand des DSC war ich schon mit 18 Jahren als Ball- und Gerätewart. Das Amt wollte ich nicht annehmen, aber unser erstes Ehrenmitglied Karl Baier, redete mir zu und sagte: "Bonze", das war mein Spitzname, "nehmen Sie das Amt nur an, Sie werden auch einmal Vorsitzender vom DSC." Karl Baier hatte recht und ich führte den Club nach 1925, nachdem ich dessen 2. Vorsitzender war und Jahre lang mit im Vorstand oder dessen Ausschüssen mitgearbeitet hatte.
Das Bild "Ein Leben für den Sport" rundet sich ab, wenn ich zum Abschluß erwähne, daß ich schon mit 18 Jahren Fußballberichte für die Berliner Sportzeitung "Neue Sportwoche" schrieb und daß ich 30 Jahre Sportredakteur bei den "Dresdner Nachrichten" war und noch heute Mitarbeiter bei den "Sächsischen Neuesten Nachrichten" tätig bin.
Laut menen Aufzeichnungen habe ich allein in den Jahren 1904 bis 1906 199 Tore geschossen. Früher und auch jetzt bin ich gefragt worden, wie man die Schießkunst erlernt. Es ist kein Geheimnis, es ist auch keine Zauberei dabei, es gehört dazu Veranlagung, Gefühl, ein gutes Auge und Kraft, sowie eisernes Training, Erarbeitung technischer Reife. Schnelligkeit gehört auch dazu. Der richtige Ansazt ist schon der halbe Erfolg.
Außerdem war ich der erste Sportsprecher beim Sender Dresden und Leipzig, übertrug große Fußballspiele in Dresden und Kegelmeisterschaften in Bautzen und Meerane.
--------------------
*Verfasst wurde der Text circa 1953 von Arno Neumann selbst. Er befindet sich als Kopie in den Beständen des DSC Museums. Im Jahr 1958 wurden Arno Neumann und
Alexander Schreiber als Hauptorganisatoren des 60. Stiftungsfest des Dresdner SC wegen "Wühl- und Zersetzarbeit im Auftrage feindlicher Organisationen,
insbesondere aber des SPD-Ostbüros und des Westzonalen Spionageministeriums sowie für den Aufbau einer illegalen Organisation" vom Dresdner Bezirksgericht zu 5 Jahren Zuchthaus
verurteilt.